Ausgangsbeschränken in Lahr nach dem Krieg Der Kreiskommandant hat festgesetzt…

Offizielle Bekanntmachung des Oberbürgermeisters von Lahr vom 20. Juni 1945, der die Sperrzeit von 22 bis 5 Uhr festlegt.
Bildausschnitt aus Chronik Baader II
Jede Zeit hat ihre spezielle Sprache, auch wenn manche Redewendungen und Ausdrücke sich als erstaunlich langlebig erweisen. Ungewöhnliche Zeiten hinterlassen besonders schnell ihre Spuren in unserem Wortschatz. Zu Worten wie "Infektionsgeschehen", "systemrelevant" oder "Notbetreuung" hätten wir alle vor einem Jahr andere Bilder im Kopf gehabt als heute.

Das Wort „Betretungsverbot“ haben die meisten von uns in diesem Jahr wohl zum ersten Mal gehört. Es gibt gute Gründe, nicht von „Ausgangssperre“ zu sprechen, denn – so eingesperrt wir uns in den vergangenen Wochen vielleicht vorgekommen sind – eine absolute Ausgangssperre hatten wir nicht.


Schon in der Besatzungszeit war die Sprachregelung keineswegs eindeutig. Das zeigt ein Blick in der Lahrer „Kriegschronik“ von Emil Baader. Im Auftrag des Bürgermeisters hatte Baader in den letzten Monaten des Krieges begonnen, die Ereignisse in Lahr aufzuzeichnen und er führte seine Chronik auch nach dem Ende des Krieges noch einige Zeit weiter. In drei dicken Bänden notierte er alles, was ihm interessant erschien und klebte auch Zeitungsausschnitte, Fotos, Lebensmittelmarken und amtliche Bekanntmachungen in seine Bücher ein. Einer dieser Bände kann im Stadtmuseum besichtigt werden, die anderen werden im Archiv aufbewahrt.

 

Auf den bunten Bekanntmachungen der neuen Regelungen ist die Rede von Sperrstunde, Ausgehverbot, Polizeistunde, Sperrzeit, Ausgangssperre oder auch Ausgehsperrzeit. Unabhängig von der konkreten Formulierung betraf die Ausgangssperre die Abend- und Nachtstunden und wurde der aktuellen Lage nach immer wieder neu festgelegt. Am Tag konnten die Menschen sich in der Stadt bewegen, Freunde und Verwandte treffen, arbeiten und einkaufen. Die Nähe zu anderen Menschen war kein Problem, denn die Sperrzeiten der Alliierten hatten ganz andere Gründe als unser heutiges Kontaktverbot. Es ging der Militärregierung darum Widerstand, Sabotage und Guerilla-Aktionen zu verhindern. Deshalb durften die Menschen ihre Wohnungen nachts nicht verlassen.

 

Noch zwei Jahre nach Ende des Krieges wurden die Sperrzeiten auch als Disziplinierungsmaßnahme genutzt. Als Belohnung für gutes Betragen wurde der Bevölkerung erlaubt, sich länger draußen zu bewegen, nach unerwünschten Vorfällen wurde die Sperrzeit wieder ausgedehnt. Manchmal galt das auch nur für bestimmte Gruppen, beispielsweise für Jugendliche. Vermutlich hatten Jugendliche den Jahreswechsel 1945/46 zu ausschweifend begangen, denn ab dem 4. Januar 1946 mussten alle Personen unter 20 Jahren zwei Stunden früher zuhause sein als der Rest der Bevölkerung. Und im Sommer 1946 wurden die Jugendlichen nach einem Sabotageakt für zehn Tage mit einer ausgedehnteren Sperrzeit bestraft.

 

Neben dem zeitlichen gab es auch räumliche „Betretungsverbote“, was uns auf die problematische Ernährungssituation dieser Jahre hinweist. Während der Erntezeit wurden Feldwege und Weinberge für Spaziergänger gesperrt, um „Felddiebstähle“ zu unterbinden, mit denen einige Leute ihre Lebensmittelrationen versuchten zu ergänzen.

 

Diese Umstände zeigen, dass man die heutige Situation nur sehr eingeschränkt mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichen kann. Auch wenn wir gerade drastische Einschnitte in unseren Alltag erleben – die Versorgungslage ist bei uns vollständig gesichert. Und immerhin sind Spaziergänge und Sport an der frischen Luft mit dem entsprechenden Abstand erlaubt. Genießen wir also die warme Jahreszeit!