Gemeinsam erinnern: Der Kanadaweg Der Flugplatz

Aufsicht auf den Flugplatz Lahr. Flugzeuge stehen vor den Hallen des Flugplatzes.
Der Flugplatz Lahr in der 80er Jahren.
Quelle: Stadtarchiv Lahr
Fritz-Rinderspacher-Straße 5

Der Lahrer Flugplatz hat die Entwicklung der Stadt (und insbesondere der Stadtteile Langenwinkel und Hugsweier) entscheidend geprägt. Von 1967 bis 1994 beherbergte er Teile der kanadischen Garnison in Lahr, deshalb ist hier der Ausgangspunkt des „Kanadawegs”, der mit Hinweistafeln im Stadtgebiet und Hintergrundinformationen im Internet auf die kanadische Geschichte der Stadt verweist.

Die Lahrer Flugplatzgeschichte begann deutlich früher mit der Planung und dem Bau eines Kriegsluftschiffhafens ab 1913, der allerdings nie in Betrieb genommen wurde. In den folgenden Jahrzehnten diente die Grasbahn als offizieller Notlandeplatz der Lufthansa, ab 1934 wurde das Flugfeld von der Lahrer Segelfliegergruppe genutzt.

1946 wurde der Stab der 1. französischen Luftwaffendivision nach Lahr verlegt. Die französische Armee baute 1952 den Lahrer Feldflugplatz aus (Base Aérienne 139) und legte eine Betonlandebahn für Düsenflugzeuge an, die in den Folgejahren weiter an NATO-Standards angepasst wurde. Nach zwanzig Jahren unter französischem Kommando bezogen 1967 kanadische Streitkräfte die Kasernen und den Flugplatz in Lahr.

Der Flugplatz war die „ base”, Arbeitsplatz der Soldaten und Ein- bzw. Ausgangstor nach Lahr und zurück nach Kanada. Mehrmals pro Woche flogen Transport- und Passagiermaschinen von Lahr nach Kanada. Die Soldaten lebten jeweils für drei oder vier Jahre in Lahr, bevor sie an einen anderen Standort versetzt wurden („rotation time”). Verheiratete Soldaten duften ihre Familien mitbringen und in Wohnungen außerhalb der Kasernen wohnen.

Die kanadischen Soldaten und ihre Angehörigen entwickelten in Lahr eine kulturelle und ökonomische Infrastruktur mit eigenen Schulen, Sport- und Kultureinrichtungen, Geschäften und Wohnvierteln. Manche dieser Einrichtungen befanden sich auf dem Flugplatzgelände, zum Beispiel Sport- und Schwimmhallen. Andere waren in der Stadt verteilt und standen zeitweise auch der deutschen Bevölkerung offen (Eishalle, Kino). Damit wurden sie zu Begegnungsorten zwischen Kanadiern und der übrigen Einwohnerschaft.

in English / en français

The airfield of Lahr has had a decisive influence on the development of the town of Lahr (and in particular the districts Langenwinkel and Hugsweier). From 1967 to 1994, it was home for parts of the Canadian garrison in Lahr, which is why it is the starting point of the "Kanadaweg" - the Canada Trail, which refers to the city's Canadian history with information signs in the city area and background information on the internet.

Lahr's airfield history began much earlier with the planning and construction of a wartime airfield from 1913 on, although it was never put into operation. In the following decades, the grass runway served as an official emergency landing strip for Lufthansa, and from 1934 the airfield was used by the Lahr gliding group.

In 1946, the staff of the 1st French Air Force Division was moved to Lahr. In 1952, the French army expanded the Lahr airfield (Base Aérienne 139) and built a concrete runway for jet aircraft, which was further improved to meet NATO standards in the following years. Having been used by the French for twenty years the barracks and the airfield were taken over by the Canadian Forces in 1967.

The airfield was the "base", the soldiers' workplace and the gateway to and from Lahr and back to Canada. Several times a week, transport and passenger planes flew from Lahr to Canada and back. The military community members lived in Lahr for three or four years before being transferred to another location ("rotation time"). Married soldiers were allowed to bring their families with them and live in accommodations outside the barracks.

The Canadian soldiers and their families developed a cultural and economic infrastructure in Lahr with their own schools, sports and cultural facilities, stores and residential areas. Some of these facilities were located on the airbase grounds, such as sports centers and swimming pools. Others were spread throughout the city and were also open to the German population at certain times (ice rink, cinema). This made them meeting places between Canadians and the rest of the population.

L'aérodrome de Lahr a eu une influence décisive sur le développement de la ville. De 1967 à 1994, une partie de la garnison canadienne de Lahr y a été hébergée. C'est pourquoi c'est le point de départ du sentier «Kanadaweg» avec des panneaux indicateurs qui font référence à l'histoire canadienne de la ville et des informations supplémentaires sur Internet.

L'histoire de l'aérodrome de Lahr a commencé bien plus tôt avec la planification et la construction d'un port de dirigeables de guerre à partir de 1913, qui n'a cependant jamais été mis en service. En 1946, le quartier général de la 1ère Division de l'Armée de l'Air française est transféré à Lahr. En 1952, l'armée française agrandit l'aérodrome (Base aérienne 139), et construit une piste en béton pour les avions de chasse à réaction, qui fut adaptée aux normes de l'OTAN dans les années suivantes. Après vingt ans sous commandement français, les forces armées canadiennes ont emménagé dans la caserne et l'aérodrome de Lahr en 1967.

L'aérodrome était la «Base», le lieu de travail des soldats et le point de départ et d´arrivée entre Lahr et le Canada. Des avions de transport et de passagers effectuaient des vols de Lahr vers le Canada plusieurs fois par semaine. Les soldats vivaient à Lahr pendant trois ou quatre ans avant d'être transférés ailleurs («temps de rotation»).

Les soldats mariés étaient autorisés à amener leur famille avec eux et à vivre dans des appartements à l'extérieur de la caserne.

Les soldats canadiens et leurs familles ont développé une infrastructure culturelle et économique avec leurs propres écoles, institutions sportives et culturelles, magasins et zones résidentielles. Certaines de ces installations étaient situées sur le terrain de l'aérodrome, par exemple les salles de sport et de natation. D'autres étaient réparties dans toute la ville et étaient également ouverts à la population allemande (au moins à certaines heures). Ils deviennent ainsi des lieux de rencontre entre les Canadiens et le reste de la population.

Oral History, Anekdoten und Zeitzeugenberichte

Anekdoten von Kanadiern, Angehörigen und Menschen, die mit ihnen in Berührung kamen

Die Interviews im Jahr 2024 wurden anlässlich des Abzugs der Kanadier aus Lahr vor 30 Jahren von Cornelia Lanz, Amtsleitung für Stadtgeschichte und Archivwesen geführt.

 

„Ein warmes Willkommen: Bei meiner Ankunft war alles grün. Für den 18. Oktober war es noch sehr warm, 28 Grad, und ich hatte eine Winterjacke an. Ich fragte mich: „Bin ich in der Karibik gelandet, oder was?“ Der erste Satz, den ich lernte war: „Ein Bier, bitte!“ Dann habe ich meine Frau kennengelernt und bin immer mit einem Lexikon unterm Arm unterwegs gewesen. Einmal im Jahr flog ich noch nach Hause, aber eigentlich hatte ich jetzt eine neue Familie.“, ehemaliger kanadischer Militärangestellter, Interview 2024

„Die Telefonzelle: In Lahr gab es zwei Telefonzellen: Eine am Flughafen und eine bei der Salvation Army. Ca. 30 Leute haben dort immer gewartet. Man musste über einen Operator telefonieren, der die Nummer gewählt hat. Eine Minute war sehr teuer. Wir haben immer mit 5 DM-Stücken telefoniert, die wir gesammelt haben. Damit konnte man maximal zwei Minuten lang telefonieren, danach war es zu teuer, oder einer der anderen hat gedrängt. Das Gespräch war sehr zeitverzögert: man wartete auf eine Antwort, aber es kam keine. Erst wenn man wieder sprach, kam eine… Das war hart, weil ich 6000 km von meiner Familie entfernt war.“, ehemaliger kanadischer Militärangestellter, Interview 2024

„Weihnachten in Deutschland: An Weihnachten haben alle mit ihren Familien telefoniert und gefragt, wie es geht. Nie gab es Schnee. Weihnachten ohne Schnee war sehr traurig. Ich vermisse den Schnee bis heute. Am ersten Weihnachtsfest habe ich mein Auto, einen kleinen Ford Escort, mit T-Shirt und kurzer Hose gewaschen. Ich wohnte am Flugplatz und war ledig. Vor Weihnachten haben meine spätere Frau und ich Butter, eine Stereoanlage oder eine Waschmaschine im kanadischen Supermarkt gekauft oder von Kollegen abgekauft… alles, was die Schwiegereltern gebraucht haben.“, ehemaliger kanadischer Militärangestellter, Interview 2024

„Wohnen: Am Anfang waren die meisten Soldaten Singles und haben am Flughafen gelebt. Erst nach sechs Monaten beziehungsweise einem Jahr durfte man außerhalb der Base bei den Deutschen leben. Dafür wurde überprüft, ob alles sauber ist, ob die Betten sauber gemacht wurden, Militärstyle versteht sich. Nichts durfte auf dem Boden liegen. Manchmal hatte der Vorgesetzte weiße Handschuhe an und hat den Staub am Türrahmen überprüft. Wenn man die Wohnung auf der Base verlassen wollte wurde mir Wattestäbchen geschaut, ob alles sauber ist. Natürlich auch die Fenster!

Ich bin dann mit zwei Kollegen nach Rust in einen Neubau gezogen. Es gab keine Einbauküchen, jeder war froh, wenn er einen Kühlschrank, eine Spüle und einen Herd hatte. Wir mussten erstmal Möbel kaufen. Die Kollegen, die nach Kanada zurückgingen, haben viele Dinge verkauft. Das war ein Handeln: „Du brauchst ein Sofa, eine Waschmaschine…“ Meine damalige Freundin und jetzige Frau, hatte eine Ente. Als ein Kamerad Lahr verließ, sagte ich sofort „Ich will deine Waschmaschine!“ In den Camaro ging die Waschmaschine nicht rein, in die Ente gerade so. Sie war total überladen. Es war sehr lustig, die Ente neben den Straßenkreuzern zu sehen. Immer haben uns alle gewunken!“, Paul Tourond (*1964), kanadischer Unteroffizier, Meisterbombenschütze (in Lahr 1984-1992) und seine Frau Andrea Tourond (*1970), Interview 2024

„Die Atombombe: In Lahr wurden von Juni 1969 - Juni 1970 30 Atombomben gelagert. Eine Einheit der US-amerikanischen Luftwaffe war für die Verwahrung der Atombomben zuständig. Die Kanadischen Starfighter standen bereit, um sie im Kriegsfall an vorher festgelegte Ziele zu bringen.“, Dr. Werner Schönleber: Dissertationsschrift „Auf Wacht am Oberrhein – Die Kanadischen Garnisonen in Söllingen und Lahr und die lokale Bevölkerung 1953-1994“, Hamburg, 2023

„Wir waren mit einem Radioaktivitätszähler (Dosimeter beziehungsweise Geigerzähler) ausgestattet, der immer gezählt hat, ob jemand in die Nähe radioaktiven Materials gekommen ist. Bei der Manöverübung „Fall Exercise“ in der Nähe Tschechiens musste man immer die Zähler tragen.“, ehemaliger kanadischer Militärangestellter, Interview 2024

„Der Ernstfall: Wenn Du in ein anderes Land kommst, musst Du schon bereit sein für den Ernstfall.“, ehemaliger kanadischer Militärangestellter, Interview 2024

„Das Training: Das 22. Régiment musste immer am härtesten trainieren. Im Sommer durften alle in Sportkleidung trainieren, nur das 22. Régiment musste in voller Montur antreten (ca. 30 kg: Gewehr, Helm, Dienstkleidung, Ersatzdienstkleidung, Munition und Notverpflegung): 25 km und ca. 300 Höhenmeter - einmal von der Base raus, um diese rum, auf den Schutterlindenberg rauf und zurück. Konnte einer nicht mehr, hat ihm der Kamerad sein Gepäck abgenommen nach dem Motto „niemand bleibt zurück“. Als sie wieder zurück waren auf der Base waren, hat die Basefeuerwehr sie aus Feuerwehrschläuchen abgekühlt und ihnen Respekt gezollt. Und viele Anglokanadier, die sich eigentlich nie mit ihnen verstanden haben, haben ihnen Beifall geklatscht.“, United Veterans, Interview 2024

„Militärpolizei (MP) im Einsatz: Ich denke an die „Disco Terrass“ oben in der Feuerwehrstraße zurück. Ich war dort Türsteher. Immer wieder ist die kanadische MP reinmarschiert und hat durchgegriffen. Wer nicht bei drei an der Wand stand, wurde niedergeknüppelt – egal ob Deutsche oder Kanadier. Die kanadische MP war nicht zimperlich und hat durchgezogen. Danach wurde sortiert (Deutscher, Kanadier...). Als ein Freund gefragt wurde, ob er Deutscher oder Kanadier sei, sagte er „Fuck you“ und wurde daraufhin mit den ganzen Kanadiern auf einem LKW auf die Base gebracht. Dort stellte sich heraus, dass er Deutscher ist. Der Stiefvater wurde angerufen um ihn von der Base abzuholen. Zuhause gab es nochmal Stress…“, Michael Wolfgang „Bubi“ Amann (*1958), deutscher ziviler Angestellter beim kanadischen Militär, Interview 2024

„Volkswandertage: Es gab sogenannte „Volkswandertage“, das heißt deutsche und kanadische Bürgerinnen und Bürger waren immer wieder miteinander unterwegs. Es gab eine vorgegebene Strecke, die wir zusammen abwanderten, meist im Schuttertal. Es war sehr bekannt und sehr geschätzt und beliebt – ein echtes Familienereignis mit Kinderwägen und allem drum und dran und guter Versorgung, wie man es sich wünscht. Am Schluss gab es einen gemeinsamen festlichen Abschluss mit Getränken. Ich denke, es war eine deutsch-kanadische Initiative, auch um die Verbindung zu festigen, denn nicht alle waren begeistert über das Militär...“,  Kurt Hockenjos (*1953), deutscher Zeitzeuge, Interview 2024

„Feste: Es gab auch immer wieder Jubiläumsfeste. Manchmal haben ein paar Soldaten zu viel getrunken und wurden streitsüchtig. Dann hat man einfach die Militärpolizei angerufen und die kamen sofort mit Schlagstöcken und Jeep und haben für Ordnung gesorgt – ab in den Jeep und weg waren die Streithähne… Darauf konnten sich die Veranstalter verlassen. Die jungen Männer hatten das ganze Wochenende frei und sind dann natürlich auf die „Feschdle“ von Sportvereinen, Musikvereinen, Dörfern und so weiter. Die deutsche und die kanadische Polizei hatten eine gute Kooperation. Wir haben Nachbarn, die an Kanadier vermietet haben. Da haben wir als Kinder miteinander gespielt.“, Kurt Hockenjos (*1953), deutscher Zeitzeuge, Interview 2024

„Der flüchtige Soldat: Eines Tages kam ein Anruf aus Frankreich von der französischen Legion: „Wir haben einen Eurer Soldaten.“ „Warum?“ „Der will hier Scharfschütze werden.“ „Behaltet ihn!“ „Wir wollen ihn auch nicht!“ „Ok, wenn er es so weit geschafft hat, schafft er es auch allein bis zur Grenze, da holen wir ihn ab.“ Da Frankreich zu dieser Zeit nicht mehr Mitglied der NATO war, durften die kanadischen Militärfahrzeuge nicht nach Frankreich fahren. Als der Soldat zurück auf der Base war, bekam er Ausgangssperre. Kurze Zeit später klaute er einen Panzer und ist damit durchs hintere Tor abgehauen. Er wurde gefasst und durfte danach noch sehr lange Wachdienste am Wochenende schieben.", United Veterans, Interview 2024

„Die Frau im Kofferraum: Immer wieder wurden Damen im Kofferraum auf die Base geschmuggelt. Ein Soldat schmuggelte einmal eine Dame in seinem Auto und traf dort auf einen Kameraden, der Liebeskummer hatte. Sie fingen an, Bier zu trinken, und der Soldat vergaß die Frau in seinem Kofferraum komplett. Am nächsten Morgen weckte ihn die MP (Militärpolizei), weil sein Auto komische Geräusche mache. Es klopfe! Die Frau stieg völlig zerzaust aus dem Kofferraum und wollte erst mal aufs Klo… Aus dieser Geschichte wurde keine deutsch-kanadische Ehe.“, United Veterans, Interview 2024